Heldehafte Leere

Der Held ist in unseren Erzählungen des Spektakulären als auch des Alltags eine zentrale Figur, die positiv besetzt ist – und darüber kann man staunen. Immer ganz heldenhaft tun. Die heroische Pose einnehmen. Sich als Wohltäter*in feiern lassen (denn es gibt auch Heldinnen). Hätten wir alles manchmal so gerne. Auf dem Podest stehen und uns bestaunen lassen. Und zujubeln lassen.

Auf dem Podest ist es allerdings ziemlich einsam. Die jubelnde Menge, so sie denn da steht und so sie da jubelt, ist entrückt und es gibt keinen wahren Kontakt. Wir stehen alleine. Und das muss auch so sein, denn die Menge will keine Gruppe anjubeln, sie will DEN Helden.

In den letzten Wochen fiel mein Blick auf die Ilias von Homer und ich begab mich auf die Reise. Kontakt zu alten Texten ist immer eine spannende Sache, weil man ganz viele Archetypen besucht. Allerdings fällt einem nach einigen Gesängen (die so genannten, nachträglich eingeführten Kapitel) langsam auf, dass man sich nur auf eine groß daherkommende Geschichte eingelassen hat, in der im Grunde nicht viel passiert.

Ein Menelaos, dem man die Ehefrau entwendet hat, und der aus diesem Grund die versammelten Griechen zu einem zehn Jahre dauernden Krieg verpflichtet. Ein aufgeblasener und für den Hauptteil der Erzählung schmollender Achilles, dem man etwas weggenommen hat und der es über eine lange Zeit nicht schafft, diese Schmach hinter sich zu lassen und sich für ein konstruktives Handeln zu entscheiden. Schöne Frauen, Helden in Uniform und ehrhaftes Gebaren.

Auf einer Ton-Vase aus dem 5. Jhd. v.u.Z. sehen wir Phoinix und Odysseus, die versuchen, Achilles doch noch dazu zu bewegen, wieder an der Schlacht um Troja teilzunehmen (Altes Museum, Berlin). Achilles ist vielsagend in einen Mantel gehüllt und es wird schon am Bild ersichtlich, dass er zurückgezogen ist und nicht gleich aufspringen wird.

Phoinix und Odysseus beim schmollenden Achilles

Streckenweise passiert gar nichts. Und das allerdings mit viel Tamtam und Gewirbel und sehr adjektivreich. Theatralisch im weitesten Sinne die Beschreibungen von Manneskraft („im Schmucke des Haupthaars“) und von glänzenden Rüstungen. Und auch erinnernd an die Gattung des Splatter, wenn wir lesen, durch welchen Nacken welche Lanze glitt und wie dabei die Zunge abgeschnitten wurde. Einfache Bilder, die für Beeindruckung sogen.

Das sind die Bilder von Helden, die seit knapp 2700 Jahren in unseren kulturellen Köpfen verweilen und an denen wir manchmal noch messen, was heldenhaft ist und was nicht. Heldenhaft ist danach auf jeden Fall der große Auftritt. Laut und spektaktulär. Heldenhaft ist, sich Gefahren auszusetzen, einfach nur, um diese zu überstehen. Und heldenhaft ist es auch, sich im Anschluss feiern zu lassen – oder „ruhmvoll“ zu sterben. Heldenhaft ist scheinbar nicht, über seinen eigenen Schatten zu steigen und sich für erwachsene Lösungen zu entscheiden. Wie uninteressant.

Aktuell lese ich den Folgeband, die Odyssee. Mir scheint, dass es wieder einmal um den Helden geht. Zum Glück wissen wir ja, wie die Geschichte ausgehen wird.

Und zu guter Letzt: Ein Besuch im Alten Museum und Staunen über die wunderbar bemalten Gefäße lohnt sich immer!