Letzthin sah ich den Dokumentarfilm „Beltracchi – Die Kunst der Fälschung“. Wolfgang Beltracchi lernte das Malen von seinem Vater und führte ein sehr freies Leben, ohne sich viel um Konventionen zu kümmern – wobei er später als Kunstfälscher sich sehr wohl um Konventionen kümmerte, um mit diesen zu arbeiten und Werke zu kreieren, die sehr engen Vorgaben entsprachen. Die Fälschungen gehen in die Hunderte und es sind aller Wahrscheinlichkeit nach viele seiner Arbeiten in Umlauf, die noch nicht als solche erkannt wurden.
Der Film ist ein schöner Kommentar zum Kunstmarkt, in dem es vorrangig um Investitionen geht denn um Beziehungen zu Kunstwerken. Das soll aber einmal beiseite gelassen werden.
Vielmehr ist natürlich das Beziehungsgefüge interessant, auf das der Begriff „Original“ verweist. Sofort denkt man an Walter Benjamin und seine Verwendung der Idee der „Aura“. In seinem Text „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ dachte Benjamin vorrangig an Kunstwerke, von denen in moderner Zeit scheinbar beliebig viele Vorkommnisse erstellt werden können (wobei er auch Beispiele von Vervielfältigung seit der Antike gibt). Hier ist nicht nur an Fotografie zu denken, sondern auch an Musik: vor allem das Digitale, das Benjamin noch gar nicht zugänglich war, hat diese Situation noch verschärft. Solche Reproduzierbarkeit verändere die Kunst nachhaltig, da mit der ursprünglichen Verbindung zwischen Kunst und Künstler auch das sogenannte Auratische verloren gehe. Seine Einmaligkeit und die Geschichte, die in eben dieser Einmaligkeit liegen, treten in den Hintergrund und die orts- und zeitunabhängige Verfügbarkeit für die Massen werden wichtiger.
Ein Werk eines Malers, das es nur einmal gibt, zu einem bestimmten Zeitpunkt unter bestimmten Konditionen von diesem einen Maler produziert, hat die Eigenschaften des Auratischen. Was aber passiert, wenn mittels einer Lüge eine andere Geschichte mit diesem einen Werk in Verbindung gebracht wird? Wolfgang Beltracchi hat teilweise Bilder gemalt, die es durchaus von bestimmten Künstlern gegeben hat. Es handelt sich dabei um „Originale“, von denen wir durch alte Kataloge wissen, zu denen es auch manchmal alte Fotografien gibt, die aber vielleicht durch einen Krieg verschollen sind. Er, Beltracchi, hat dann das gesamte Werk des Künstlers studiert, sich seine Malweise angeeignet und ein neues Werk geschaffen, das über die Relations des So-tun-als-ob den Platz der verschollenen Arbeit einnehmen sollte. Eine Arbeit, die einen vorgegebenen Platz in einem Werk eines anderen Künstlers einnimmt, welche die Technik und Art und Weise nachahmt, sodass Experten an der Nase herumgeführt werden. Das Einmalige wurde aufgehoben und ein Teil der Geschichte nicht erzählt …
Sicherlich meinte Benjamin nicht den Fall der Fälschung, aber der Gedanke ließ mich nicht los. Man könnte mit Wittgenstein einen weiteren Aspekt nennen: es besteht eben nicht der Sachverhalt, dass Maler x Bild y produziert hat. Es wäre eben nicht der Fall und man müsste dem Satz, der schlussendlich eine Lüge ist, den Wahrheitswert „falsch“ zuordnen. Das Bild, das wir uns machen, entspricht eben nicht der Tatsache, an die wir glauben sollen.
Gleichwohl gibt es auf dem Kunstmarkt (bzw. innerhalb bestimmter Sammlungen) noch Arbeiten, bei denen die Eigentümer nach wie vor der Geschichte folgen, dass eben diese Arbeit Teil eines Œuvres ist und somit eine bestimmte Aura besitzt. Die Geschichten haften den Arbeiten an und Wolfgang Beltracchi geht sogar weiter und stellt eine reizvolle Frage: Was ist, wenn die Fälschung oder die Fortführung eines Stils, um ein vermeintlich neues Werk im Œuvre entstehen zu lassen, sogar die bessere Arbeit ist?
Manchmal nehmen wir uns Ansichten und Erzählungen zum Anlass, uns inspirieren zu lassen, eine ähnliche Geschichte auf unser eigenes Leben anzuwenden. Wir schauen, wie andere „es“ machen und kopieren Handlungen und Bewertungsweisen in der Hoffnung, dass sie auch für uns passen könnten. In diesem Fall sprechen wir von der Veränderung der Perspektive. Wir bewerten neu und richten anders aus – das kann eine unglaubliche Kraft und weitere, hoffentlich positive Konsequenzen für unser Leben haben. Und wenn es dann klappt: ist das dann nicht einfach nur richtig und besonders viel wert? Unser eigenes Leben als Kunstwerk hat eine Aura, die in einem ständigen Veränderungsprozess ist. Wir sind die Autoren des Werks und das Werk zugleich und wir sollten sehr froh über die Veränderbarkeit seiner Geschichte sein.